Franz Kafka Eine kaiserliche Botschaft (Franz Kafka) - Kerber-Net
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<strong>Franz</strong> <strong>Kafka</strong><br />
<strong>Eine</strong> <strong>kaiserliche</strong> <strong>Botschaft</strong> (<strong>Franz</strong> <strong>Kafka</strong>)<br />
Textgegenstand:<br />
Kernstück aus: „Beim Bau der chinesischen Mauer“<br />
<strong>Eine</strong> vom sterbenden Kaiser an ein fiktives „Du“ mit<br />
äußerster Sorgfalt auf den Weg geschickte <strong>Botschaft</strong><br />
erreicht das fiktive „Du“ trotz heftigster<br />
Anstrengungen des <strong>Botschaft</strong>strägers nicht. Die<br />
dem <strong>Botschaft</strong>er im Weg stehenden Hindernisse<br />
sind vielfältigster Art (genannt werden: Menge,<br />
Paläste, Treppen, Höfe des Palastes, Palastmauern),<br />
wobei vor allem die lange Zeitspanne zwischen der<br />
Aussendung der <strong>Botschaft</strong> und die „Residenzstadt“<br />
als Bild für die „Mitte der Welt, hochgetürmt voll<br />
ihres Bodensatzes“ ins Auge fallen. Das fiktive „Du“<br />
ist deshalb darauf angewiesen, sich diese<br />
„<strong>kaiserliche</strong> <strong>Botschaft</strong>“ zu erträumen.<br />
Formale Struktur:<br />
I. Inhaltliche Struktur<br />
1. Teil 2. Teil<br />
a) - Aussendung des Boten durch den<br />
sterbenden Kaiser mit der<br />
<strong>kaiserliche</strong>n <strong>Botschaft</strong><br />
- Erfolgreicher, schneller Wegabschnitt<br />
a) Zukünftige (s.Perspektive) Hindernisse<br />
b) - Widerstände gegen den Boten (Menge) b) Situation des Angeredeten (Sehnsucht)<br />
II. Erzählerische Struktur<br />
Zwei Wirklichkeitsebenen überlagern sich,<br />
die reale und die irreale Welt (s. bes. im ersten Satz)<br />
1. Teil 2. Teil<br />
1. Erzählhaltung: Episches Erzählen<br />
2. Sprachliche Mittel:<br />
a) Semantik: Semantischer Bereich der<br />
Affirmation („Richtigkeit bestätigt",<br />
„abgefertigt“, „kräftiger, unermüdlicher<br />
Mann", „schafft sich Bahn", „kommt<br />
leicht vorwärts“)<br />
b) Syntax: Syntaktische Geschlossenheit:<br />
Satzklammer durch Perfekt bindet die<br />
Sätze zu einer festen einheit zusammen<br />
= Sätze als feste Einheiten.<br />
c) Modus: Indikativ<br />
d) Zeitstruktur:<br />
Perfekt (vollendete Gegenwart) > Präsens:<br />
Versicherung der Realität, des in der<br />
Vergangenheit Geschehenen: ergangene<br />
<strong>Botschaft</strong>, anfänglicher Erfolg des Boten<br />
=/= Widerstände auf dem Weg der<br />
<strong>Botschaft</strong><br />
a) - c): Verraten Klarheit und Festigkeit,<br />
einen unbeirrbaren Willen und<br />
bezwingende Kraft. Diese Bestimmtheit<br />
besonders im ersten Satz: „Gerade dir<br />
hat der Kaiser ... gesendet.“<br />
© H. <strong>Kerber</strong> 1998 | 2000 | 2005<br />
1. Erzählhaltung: Reflexion<br />
2. Sprachliche Mittel:<br />
a) Semantik: Semantischer Bereich der<br />
Negation ("kein Ende", "nichts",<br />
"niemand" [6 x])<br />
b) Syntax: Syntaktische Offenheit:<br />
Satzfragmente, fehlende Prädikate („und<br />
wieder Treppen und Höfe“, „und wider<br />
ein Palast“)<br />
c) Modus: Konjunktiv: die festen Umrisse<br />
losen sich auf<br />
d) Zeitstruktur:<br />
Futur > Präsens: die Zeit wird zur Ewigkeit<br />
Irrealität zukünftiger Heilserwartungen
Kaisbot_int.tab<br />
Die Sprache ist scheinbar sachlich-nüchtern, aber es schwingt eine metaphysische<br />
Trauer mit. Erst im Schlusssatz kommt die Sehnsucht auch sprachlich offen zum<br />
Ausdruck.<br />
III. Realitäts- ���� Symbol - Struktur<br />
1. Teil 2. Teil<br />
• Sterbender Kaiser (Sonne)<br />
• Bote (Zeichen der Sonne)<br />
• <strong>Botschaft</strong><br />
• Großen des Reiches<br />
• Kaiserlicher Palast<br />
• Treppen, Gemächer<br />
• Höfe, Gänge, Palast Menge<br />
Der Gegensatz zwischen Bestimmtheit<br />
und Entschiedenheit der ergangenen<br />
(Heils-)<strong>Botschaft</strong>, des gegebenen Auftrages<br />
und der Aussichtslosigkeit, dass die<br />
<strong>Botschaft</strong>, der Auftrag den Menschen<br />
erreicht, deutet auf ein pessimistisches<br />
Welt- und Existenzverständnis.<br />
Deutung für „Kaiser“: Gott? als Herr und<br />
Mitte de Welt, der alles daransetzt, dem<br />
Menschen Kunde von einer Möglichkeit des<br />
Heils, von sich, zu geben. Die <strong>Botschaft</strong><br />
aber erreicht den menschen nie, weil er in<br />
die „fernste Ferne“, die Gottesferne<br />
„geflüchtet“ ist und weil er den „Bodensatz<br />
der Welt“ verunreinigt, beschmutzt,<br />
verdreckt; hinzukommt allerdings, dass es<br />
die <strong>Botschaft</strong> „eines Toten“ ist.<br />
Elemente des Gehaltes<br />
© H. <strong>Kerber</strong> 1998 | 2000 | 2005<br />
Residenzstadt<br />
= „Mitte der Welt“<br />
= „durch Jahrtausende“<br />
Neue, transzendente „Realitätsebene“<br />
� Parabel �<br />
� Symbolcharakter der Realität �<br />
Rückwirkung auf den 1.Teil:<br />
„Kaiser“,<br />
„<strong>Botschaft</strong>“,<br />
„Zeichen der Sonne“,<br />
„so heißt es“,<br />
„gerade dir“,<br />
„herrliches Schlagen der Fäuste“<br />
Neues Deutungs- und Sinnpotenzial<br />
Der heutige Mensch lebt (also) ohne<br />
Heilsbotschaft, weil sie ihn (s.<br />
dazwischengeschobenen Instanzen,<br />
Widernisse, Bodensatz der Welt) nicht mehr<br />
erreicht. Er ist aber dennoch von einem<br />
schmerzlichen Verlangen danach erfüllt:<br />
Für den Menschen ist „Gott tot“ (s.<br />
Nietzsche: „Der tolle Mensch“), er ist aber<br />
dennoch von tiefster Unruhe zu „Gott“,<br />
einer <strong>Botschaft</strong> des Heiles, erfüllt