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Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die ... - Hauke Möller

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14 B. <strong>Die</strong> klassische Lehre von der <strong>verfassungsgebende</strong>n <strong>Gewalt</strong> <strong>des</strong> <strong>Volkes</strong><br />

Staatskrise Reformen gegen den Widerstand <strong>des</strong> Adels durchzusetzen,<br />

hatte Ludwig XVI. für den Mai 1789 <strong>die</strong> Generalstände einberufen,<br />

<strong>die</strong> seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren. In der Öffentlichkeit<br />

setzte eine breite Debatte über <strong>die</strong> anstehenden Fragen ein.<br />

Vielfach wurde gefordert, den Einfluß <strong>des</strong> Dritten Stan<strong>des</strong>, der Vertretung<br />

<strong>des</strong> Bürgertums <strong>und</strong> der Landbevölkerung, im Vergleich zu<br />

den Vertretungen von Klerus <strong>und</strong> Adel auszuweiten. In <strong>die</strong>ser Situation<br />

erschienen zahlreiche politische Broschüren. <strong>Die</strong> größte Bedeutung<br />

darunter erlangte eine im Januar 1789 von Sieyes veröffentlichte<br />

Schrift mit dem Titel: »Qu’est-ce que le Tiers état?« (»Was ist der Dritte<br />

Stand?«) 34 .<br />

Darin unterscheidet Sieyes den pouvoir constituant (<strong>die</strong> <strong>verfassungsgebende</strong><br />

<strong>Gewalt</strong>) <strong>und</strong> den pouvoir constitué (<strong>die</strong> verfaßte <strong>Gewalt</strong>) 35 . Er<br />

betrachtet <strong>die</strong> Nation im Ausgangspunkt als einen freiwilligen Zusammenschluß<br />

von Individuen. Um <strong>die</strong> Ziele ihres Zusammenschlusses<br />

zu erreichen, müssen <strong>die</strong>se sich untereinander verständigen. So<br />

bildet sich aus den Willen der Einzelnen ein gemeinschaftlicher Wille,<br />

durch den <strong>die</strong> Gesellschaft als Ganzes handeln kann 36 . Erst auf der<br />

nächsten Stufe setzt <strong>die</strong> Regierung durch Vollmacht ein. Wenn <strong>die</strong><br />

Mitglieder der Gesellschaft nämlich zahlreich sind <strong>und</strong> verstreut leben,<br />

können sie nur noch unter Schwierigkeiten ihren gemeinschaftlichen<br />

Willen ausüben. Deshalb vertrauen sie einigen aus ihrer Mitte <strong>die</strong><br />

Befugnisse an, <strong>die</strong> nötig sind, um für <strong>die</strong> öffentlichen Bedürfnisse zu<br />

sorgen. Nun handelt nicht mehr der wirkliche gemeinschaftliche Wil-<br />

einhalb Jahrzehnte zuvor in Nordamerika »voll ausgebildet« gewesen. Allerdings sind<br />

<strong>die</strong> entsprechenden Ideen dort nicht in einer zusammenhängenden Verfassungstheorie<br />

niedergelegt worden (Thiele, Der Staat 39 (2000), S. 397 ff.). Jedenfalls wurde in Europa<br />

zwar sehr wohl <strong>die</strong> Praxis, aber weniger <strong>die</strong> Theorie der amerikanischen Verfassungsgebung<br />

wahrgenommen (vgl. Boehl, a. a. O., S. 67, m.w. N.).<br />

34 Zum geschichtlichen Hintergr<strong>und</strong> Dann, in: Sieyes, Was ist der Dritte Stand?, Einleitung,<br />

S. 1 ff.; Eberhard Schmitt, Repräsentation <strong>und</strong> Revolution, S. 147 ff.; Merkel, <strong>Die</strong><br />

<strong>verfassungsgebende</strong> <strong>Gewalt</strong> <strong>des</strong> <strong>Volkes</strong>, S. 164 ff.<br />

35 Sieyes, Qu’est-ce que le Tiers état?, S. 180 f. <strong>Die</strong> Verwendung <strong>die</strong>ses – durch Sieyes<br />

geprägten – Begriffspaares ist auch in der deutschen Rechtswissenschaft üblich geworden.<br />

Gelegentlich wird statt vom »pouvoir constitué« im Singular von den »pouvoirs constitués«<br />

im Plural gesprochen, also von den verfaßten <strong>Gewalt</strong>en. Dadurch wird <strong>die</strong> <strong>Gewalt</strong>enteilung<br />

innerhalb der durch <strong>die</strong> Verfassung begründeten Staatsgewalt betont.<br />

36 Sieyes, Qu’est-ce que le Tiers état?, S. 178. Sieyes knüpft damit an <strong>die</strong> von Thomas<br />

Hobbes begründete <strong>und</strong> etwa von John Locke <strong>und</strong> Jean-Jacques Rousseau fortgeführte philosophische<br />

Tradition <strong>des</strong> Gesellschaftsvertrages an (vgl. Redslob, <strong>Die</strong> Staatstheorien der<br />

französischen Nationalversammlung von 1789, S. 18 ff.).

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