Die verfassungsgebende Gewalt des Volkes und die ... - Hauke Möller
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236 E. Weitere Überlegungen<br />
<strong>die</strong>sem Gedanken auch zwischenstaatliche Einrichtungen nicht dazu<br />
ermächtigt werden. Da außerdem keiner staatlichen Stelle <strong>die</strong> Befugnis<br />
zusteht, ohne Rechtfertigung in Gr<strong>und</strong>rechte einzugreifen, müßte<br />
ebenso <strong>die</strong> übertragene Hoheitsgewalt der Bindung an <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>rechte<br />
unterliegen 1071 . Eine solche Interpretation <strong>des</strong> Art. 24 Abs. 1 GG<br />
wurde zwar verschiedentlich vertreten 1072 ; <strong>die</strong> herrschende Meinung<br />
allerdings lehnt eine Bindung der übertragenen <strong>Gewalt</strong> an <strong>die</strong> Verfassung<br />
im Ausgangspunkt ab 1073 . Sie bezeichnet den Wortlaut <strong>des</strong><br />
Art. 24 GG als »mißglückt« 1074 oder jedenfalls als »ungenau <strong>und</strong> mißverständlich«<br />
1075 . Der Begriff der Übertragung könne »nicht wörtlich«<br />
genommen werden 1076 .<br />
<strong>Die</strong> Lehre von der <strong>verfassungsgebende</strong>n <strong>Gewalt</strong> <strong>des</strong> <strong>Volkes</strong> stützt<br />
eine Auslegung nach dem Wortlaut. Nach <strong>die</strong>ser Lehre hat eine Verfassung<br />
zwei verschiedene Funktionen, deren eine <strong>die</strong> Organisation der<br />
Staatsgewalt ist. <strong>Die</strong> andere Funktion ist es, den pouvoir constitué in seiner<br />
Gesamtheit bestimmten Bindungen zu unterwerfen. Das Volk als<br />
1071 Allerdings folgt aus dem Begriff der »Übertragung« nicht zwingend, daß – wie<br />
bei der zivilrechtlichen Zession – dem Rechtserwerb der zwischenstaatlichen Stelle ein<br />
vollständiger Rechtsverlust beim übertragenden Staat entspräche (in <strong>die</strong>sem Sinne aber<br />
Bünten, Staatsgewalt <strong>und</strong> Gemeinschaftshoheit bei der innerstaatlichen Durchführung<br />
<strong>des</strong> Rechts der Europäischen Gemeinschaften durch <strong>die</strong> Mitgliedstaaten, S. 75 f.). Wenn<br />
jemand einem anderen eine Aufgabe oder eine Befugnis »überträgt«, schließt das nicht<br />
schon sprachlich aus, daß er ihm <strong>die</strong>se unter Umständen wieder entziehen kann. So<br />
findet man etwa bei Jacob Grimm / Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 11/II,<br />
S. 600, zum Stichwort »übertragen« unter anderem den Eintrag: »ein amt, eine würde<br />
u. ä. übertragen, verleihen: das kaiserthum ward als eine amtsgewalt betrachtet, welche<br />
man übertragen <strong>und</strong> wohl auch zurücknehmen könne« (vgl. zum Inhalt <strong>des</strong> Beispielsatzes<br />
auch oben Fußnote 485 auf Seite 109).<br />
1072 <strong>Die</strong>trich Küchenhoff, DöV 1963, 161, 165 f.; Gramlich, Europäische Zentralbank <strong>und</strong><br />
Art. 24 Abs. 1 GG, S. 148 f. <strong>und</strong> S. 154; vgl. Wolfgang Müller, <strong>Die</strong> Entscheidung <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>gesetzes für <strong>die</strong> gemeindliche Selbstverwaltung im Rahmen der europäischen<br />
Integration, S. 68 f., m.w. N.<br />
1073 Wolfgang Müller, <strong>Die</strong> Entscheidung <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>gesetzes für <strong>die</strong> gemeindliche Selbstverwaltung<br />
im Rahmen der europäischen Integration, S. 68 ff.; Uhrig, <strong>Die</strong> Schranken <strong>des</strong><br />
Gr<strong>und</strong>gesetzes für <strong>die</strong> europäische Integration, S. 20 ff.; Randelzhofer, in: Maunz/Dürig,<br />
GG, Art. 24 I, Rn. 56; Tomuschat, in: Dolzer u. a., Bonner Kommentar zum GG, Art. 24,<br />
Rn. 62, m.w. N.<br />
1074 Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 24 I, Rn. 55 <strong>und</strong> Rn. 1, m.w. N.<br />
1075 Wolfgang Müller, <strong>Die</strong> Entscheidung <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>gesetzes für <strong>die</strong> gemeindliche Selbstverwaltung<br />
im Rahmen der europäischen Integration, S. 69, m.w. N.<br />
1076 BVerfGE 37, 271, 279; Pernice, in: Dreier, GG, Art. 24, Rn. 19 f.; Streinz, in: Sachs, GG,<br />
Art. 24, Rn. 18.