WOHNTREND - Kristina Raderschad
WOHNTREND - Kristina Raderschad
WOHNTREND - Kristina Raderschad
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Ausgabe 2/2011 April – Mai D 7,50 € · A 7,90 € · CH sfr 14,80 · Benelux 8,90 € · E 9,90 € · F 7,90 € · FIN 11,80 € · GR 10,30 € · I, SLO 10,20 € · P (cont) 10,40 € · SK 11,90 €<br />
ITALIAN STYLE<br />
Zu Gast bei<br />
vielen Kreativen<br />
MEMPHIS<br />
Design-Mythos<br />
wird 30<br />
KULTBAU<br />
Pier Luigi Nervis<br />
grandioser Stil<br />
BERLIN<br />
Freizeit-Farmer<br />
in der Stadt<br />
<strong>WOHNTREND</strong><br />
Stilmix<br />
&Farbe<br />
KÖLN-NEWS<br />
Messeschau: neue<br />
Möbel und Stoffe<br />
Nominiert für den Designpreis der BRD 2011 • with English summaries • con riassunti in italiano
ITALIENISCHE<br />
FARBENLEHRE<br />
KOSTBAR UND KURIOS, ANTIK UND MODERN: CARLO DAL BIANCOS<br />
KUNSTSAMMLUNG IST SO VIELFÄLTIG WIE ÜBERBORDEND. IN SEINEM HAUS<br />
IN VICENZA ZEIGT DER DESIGNER SIE IN FARBENFROHEN RÄUMEN.<br />
DAS VERLEIHT DEN BILDERN GRANDEZZA – UND VERBREITET GUTE LAUNE.<br />
Blau trifft Braun trifft Bunt: An den<br />
Wänden um den Essplatz hängen<br />
vor allem Gemälde der venezianischen<br />
Sezessionisten um 1900. Dank der<br />
farbigen Wände fügen sie sich mit dem<br />
Tisch von Saarinen und Fritz Hansens<br />
Stühlen zu einem lebendigen Ganzen.<br />
PRODUKTION UND TEXT <strong>Kristina</strong> <strong>Raderschad</strong><br />
FOTOS Bärbel Miebach<br />
2/11 A & W 109
Porträt mit Hund: Foxterrier Masai muss<br />
fürs Familienfoto im Wohnraum die<br />
Kinder von Carlo Dal Bianco und seiner<br />
Frau Alessandra Rebellato vertreten –<br />
alle vier waren in der Schule oder im<br />
Kindergarten. Die Mosaik-Tischleuchte<br />
entwarf der Designer für Bisazza.<br />
Die schwere, weiß lackierte Holztüre öffnet sich – und<br />
ein korallenrot gestrichenes Entree empfängt den Besucher.<br />
Ein Biedermeiersofa unter einem Ölbild aus<br />
den 30er-Jahren füllt den kleinen Raum; ein Foxterrier hat<br />
sich darauf ausgestreckt und lässt sich durch nichts aus der<br />
Ruhe bringen. So bildet er zusammen mit dem Gipsabguss<br />
einer klassizistischen Venusbüste, zwei Wedgwood-Vasen<br />
aus den 50ern, einem hölzernen Porträtkopf vom Flohmarkt<br />
und einer Vintage-Tischleuchte mit schwarz-weißem Schirm<br />
ein Stillleben, das eine Menge über den Hausherrn erzählt.<br />
Hier wohnt jemand, der ein geschultes Auge für Kunst<br />
und Design hat, der seine Klassiker kennt und Zeitgenössisches<br />
schätzt. Der gekonnt Objekte unterschiedlichster Herkunft<br />
kombiniert, ohne Wertvolles museal zu inszenieren.<br />
Die Dinge, die er liebt, sind Teil seines Alltags. Und Alltag<br />
bedeutet für Carlo Dal Bianco, 46, Architekt und Designer,<br />
seit 18 Jahren verheiratet und Vater von vier Kindern: Familie<br />
und Arbeit – beides unter einem Dach. Sein Haus in Vicenza,<br />
ein unaufgeregter viergeschossiger Bau aus den 50er-Jahren,<br />
den er 2004 kaufte und umbaute, beherbergt im Erdgeschoss<br />
sein Design-Atelier. Hier entwickelt er Produkte und<br />
architektonische Konzepte für den Mosaikhersteller Bisazza<br />
oder die Porzellanmanufaktur Fürstenberg. Darüber wohnt<br />
die Familie auf drei Etagen und 400 Quadratmetern. Das<br />
zweite Geschoss haben die Kinder für sich, in der dritten liegen<br />
der Eingang und die Zimmer der Eltern, und ganz oben<br />
wird gekocht, gegessen, gewohnt. Leben und Arbeiten bilden<br />
eine Einheit, die bunter kaum sein könnte: Ob Sonnengelb<br />
oder Taubenblau, Pistaziengrün oder Schokoladenbraun, Tief -<br />
schwarz oder Korallenrot – jeder Raum hat eine andere Farbe, und jede wirkt selbstverständlich und sophisticated, nicht eine<br />
kommt grell oder unpassend daher.<br />
„Für den Eingang habe ich ganz bewusst einen starken,<br />
heiteren Ton gewählt, der den Besucher freundlich stimmt“,<br />
erklärt Carlo Dal Bianco. „Ein Kniff, der ursprünglich aus<br />
dem Barock stammt.“ Die Farben, die er für einenRaum auswählt,<br />
beziehen sich stets auf ein konkretes Objekt. Im Flur<br />
war es das Bild des italienischen Malers Otello De Maria über<br />
dem Sofa, das sich der Designer und seine Gattin Alessandra<br />
Rebellato, eine Restauratorin, zur Hochzeit schenkten. „Für<br />
das Biedermeiermöbel suchten wir dann einen Bezugsstoff,<br />
der farblich zum Gemälde passt – und auch die Wahl der<br />
roten Wandfarbe kam so zustande“, sagt Carlo Dal Bianco.<br />
Dass Foxterrier Masai dem Sofastoff reichlich Gebrauchsspuren<br />
beigebracht hat, quittiert der Designer mit mildem<br />
Lächeln. Das gehört zum Alltag – und tut der Suggestionskraft<br />
des Interieurs keinen Abbruch.<br />
Vom Entree aus wandelt man durch eine Raumfolge, die<br />
mit ihrer klaren Symmetrie dem Barock entlehnt ist, und<br />
man staunt, wie sich Stimmungen ändern, das Gefühl von<br />
Distanz und Weite sich mit Konzentration und Nähe abwechselt.<br />
Wie sich Raumecken und von der Architektur vorgegebene<br />
Grenzen zwischen Vertikalen und Horizontalen aufzulösen<br />
scheinen, wenn Carlo Dal Bianco satte, dunkle Töne<br />
von den Wänden nahtlos auf die Decken übergehen lässt.<br />
Ruhe im Moos: Vor den grünen Wänden im Schlafzimmer<br />
scheinen der spätbarocke Engel und der antike Holzrahmen<br />
zu schweben. Im Obergeschoss blickt man vom Esstisch<br />
auf die Dachterrasse. Das Rosé von Poul Henningsens Leuchte<br />
„Artischocke“ nimmt die Deckenfläche im Salon auf.<br />
2/11 A & W 111
Design-Stillleben: Auf Archivschränken<br />
im Studio steht eine Handschuhform<br />
von Richard Ginori neben der Miniatur<br />
eines Tischchens von Marcel Wanders;<br />
Skulpturen von Jaime Hayon neben<br />
Vasen aus den 30ern und 40ern und<br />
ein Objekt von Alessandro Mendini.<br />
112 A & W 2/11<br />
Glanz in Weiß: Den Glaslüster im Salon<br />
entwarf Carlo Dal Bianco für Bisazza<br />
Home. Die rosa Decke lässt das Weiß<br />
der Möbelklassiker strahlen. Die Bilder<br />
auf den beiden Pfeilern sind Werke<br />
der Italiener Umberto Boccioni und Ugo<br />
Valeri, Anfang des 20. Jahrhunderts.
Korallenraum: Das Sofa im sattroten<br />
Entree der Wohnung ist der bevorzugte<br />
Platz von Foxterrier Masai. Das Bild<br />
des Malers Otello De Maria aus Vicenza<br />
(1933) schenkten sich der Hausherr<br />
und seine Frau zur Hochzeit, der Holzkopf<br />
stammt vom Trödel aus New York.<br />
114 A & W 2/11<br />
Spiegelstücke: Carlo Dal Bianco entwarf<br />
die Kommode im Besprechungsraum<br />
des Studios. Die mokkabraunen Wände<br />
verstärken das Funkeln und das Pink<br />
auf dem Wollteppich aus Moldawien. Die<br />
stilisierte Blüte auf dem Türblatt<br />
spiegelt das Firmenlogo Dal Biancos.
Quadratische weiße Flächen rahmen in der Mitte der Decken<br />
große Leuchter – antike venezianische Modelle, Flohmarktfunde,<br />
eigene Entwürfe – und räumen nebenbei mit dem<br />
Vorurteil auf, dass dunkle Farben Räume kleiner wirken lassen.<br />
„Ganz im Gegenteil! Durch die weißen Flächen an der<br />
Decke scheinen sich die Zimmer zum Licht zu öffnen und<br />
erscheinen so größer, als sie tatsächlich sind“, erklärt der<br />
Architekt den Kunstgriff, den er nicht nur in den meisten<br />
Räumen im Haus angewendet hat, sondern auf den er auch<br />
bei der Gestaltung der Showrooms seines Kunden Bisazza in<br />
Miami, Tokio und New York zurückgegriffen hat.<br />
Carlo Dal Bianco hat in Venedig Architektur studiert, bevor<br />
er 1993 sein Büro in Vicenza eröffnete. Aus dieser Zeit<br />
stammt seine Liebe zur Renaissance, zum Klassizismus und<br />
zur Malerei des italienischen Novecento. Es machte ihn zum<br />
Sammler und prägt seine Arbeit. Als Designer lässt er sich<br />
von historischen Vorlagen inspirieren. Sein Service für die<br />
deutsche Porzellanmanufaktur Fürstenberg etwa ist mit<br />
sanft geschwungenen Formen und Henkeln und dem grafischen<br />
Muster eine moderne Reminiszenz an die Klassik; und<br />
auch sein Logo, eine stilisierte Blüte, zitiert eine alte Vorlage.<br />
Seit dem Studium tragen er und seine Frau Kunstbände,<br />
Gipsabgüsse, Zeichnungen, antike Bilderrahmen, Gemälde<br />
und zeitgenössische Objekte von Designern wie Jaime Hayon, Marcel Wanders oder Alessandro Mendini zu einer Kollektion<br />
zusammen, die durch An- und Verkäufe, Flohmarktfunde<br />
und Souvenirs in ständiger Veränderung begriffen ist. „Vor<br />
allem die Bilder der venezianischen Sezessionisten-Gruppe<br />
Ca’ Pesaro, die sich um 1900 zusammenfand, faszinieren<br />
uns“, sagt der Hausherr. Die Sammlung ist über das ganze<br />
Haus verteilt, in Szene gesetzt und zugleich gebändigt durch<br />
die Farben: in der schwarz gestrichenen Bibliothek, im taubenblauen<br />
Lese- und dem moosgrünen Elternschlafzimmer.<br />
Das Mobiliar ist zurückhaltend, ausgesuchte Antiquitäten<br />
und skandinavische Möbelklassiker, meist ganz in Weiß.<br />
In der obersten Etage, in der Carlo Dal Bianco Zwischenwände<br />
herausreißen, die Fenster zur Nordseite zumauern<br />
und auf der Südseite zur Dachterrasse eine Glasfront einbauen<br />
ließ, entstand ein lichter, loftartiger Raum zum Wohnen<br />
und Essen: das Zentrum des Familienlebens – und für die<br />
Kunst. Hier hängen die meisten der 104 Gemälde und Zeichnungen,<br />
dicht an dicht auf zwei Wänden beim Essplatz. Die<br />
eine, sie bildet das Rückgrat des Raumes, ist dunkelbraun,<br />
für die andere wählte Carlo Dal Bianco ein gregorianisches<br />
Graublau – „einen Farbton, den man im England des 18. Jahrhunderts<br />
häufig benutzte, weil er den perfekten Fond für einen<br />
goldenen Rahmen bildet“. Und natürlich auch für den Gipsabguss<br />
einer Büste, ein Selbstporträt Antonio Canovas, die<br />
der Designer hier auf einer weißen Säule platzierte. Der<br />
große venezianische Bildhauer und Vertreter des Klassizismus<br />
überblickt den ovalen Esstisch mit den Arne-Jacobsen-<br />
Stühlen in verschiedenen Farben – und ist bei jeder Mahlzeit<br />
dabei. Kann man seine Verehrung für einen Künstler charmanter,<br />
aufrichtiger und souveräner zeigen, als ihm diesen<br />
Familienanschluss zu gewähren?<br />
p<br />
Mehr im Register ab Seite 200<br />
116 A & W 2/11<br />
Rahmenhandlung: In seiner Bibliothek ließ Dal Bianco<br />
die schwarze Wandfarbe bis weit unter die Raumdecken<br />
hochziehen – „das lässt die Grenzen der Architektur<br />
verschwimmen, den Raum größer erscheinen“. Der hellgrüne<br />
Flur führt zum mokkabraunen Konferenzraum.