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Lebacher Historischer Kalender 2006 - Historischer Verein Lebach EV

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Beneidete Bergleute<br />

Im März 1945 kamen die saarländischen Gruben für kurze Zeit unter amerikanische Kontrolle. Als am<br />

10. Juli 45 die französische Militärregierung die Verwaltung des Saarlandes übernahm, ging die Aufsicht<br />

über die Gruben auf die „Mission Francaise des Mines de la Sarre“ über. Am 15.11.47 wurde die<br />

„Régie des Mines de la Sarre“ gegründet.<br />

Zum Ende des Weltkrieges waren nur noch 5 500 Bergleute in den saarländischen Gruben unter Tage<br />

beschäftigt. Die tägliche Kohleförderung betrug 1 310 t. Im Dezember 1946 war die Zahl der Beschäftigten<br />

auf 41 208 gestiegen. Ende Dezember 47 auf 56 947, und im Jahr 48 wuchs die Belegschaft auf<br />

62 000 Bergleute. Die Kohleförderung war wieder auf rund 13 Millionen Tonnen im Jahr gestiegen<br />

(vgl. Bergmannskalender 1949, S. 160).<br />

Um seine wirtschaftlichen Interessen an der Saarkohle durchzusetzen, entließ Frankreich saarländische<br />

Kriegsgefangene vorzeitig aus der Gefangenschaft, wenn sie sich zur Arbeit auf der Grube verpflichteten.<br />

Mit einem provisorischen Entlassungsschein konnte auch Günther Schmitt die französische<br />

Gefangenschaft verlassen und seine Arbeit als Bergmann beginnen. Er erzählte uns aus seinen<br />

Erinnerungen: Bergleute aus dem Raum <strong>Lebach</strong> waren in Maybach, Camphausen, Brefeld und einige<br />

in Reden beschäftigt. Zu jeder Schicht fuhren drei Züge die Strecke <strong>Lebach</strong>-Wemmetsweiler-<br />

Saarbrücken, wobei in Wemmetsweiler jeweils ein Aufenthalt von 20 Minuten zum Umsetzen der Lok<br />

in Kauf zu nehmen war. Zur Frühschicht fuhr der erste Zug um 4.05 Uhr vom Bahnhof <strong>Lebach</strong> ab, der<br />

zweite um 4.20 Uhr und der letzte um 4.40 Uhr. Der zweite war der so genannte „Durchbrenner“, er<br />

fuhr von <strong>Lebach</strong> ohne Halt durch bis Wemmetsweiler. Zwischen 15.30 Uhr und 16.20 Uhr brachten die<br />

Züge die Bergleute von der Frühschicht wieder zurück nach <strong>Lebach</strong>. Entsprechend fuhren die drei<br />

Züge auch zur Mittag- und Nachtschicht.<br />

In den Zügen waren zwei Drittel der Waggons für Bergleute reserviert. Von der Régie des Mines angestellte<br />

Zugordner sorgten dafür, dass diese Reservierung auch tatsächlich eingehalten wurde. Ließ<br />

man wegen Überfüllung der anderen Waggons einmal ausnahmsweise andere Reisende in die Bergmannsabteile<br />

zusteigen, so mussten sich diese mit Stehplätzen begnügen.<br />

Grubeneigene Busse transportierten die Bergleute kostenlos zwischen ihren Wohnorten und dem<br />

Bahnhof <strong>Lebach</strong>. So fuhren die Grubenbusse ins Saubachtal, ins Theeltal bis Sotzweiler und ins Bohnental.<br />

Die Löhne der Bergleute waren höher als die anderer Arbeiter. Im Dezember 47 erhielt z. B. ein Hauer<br />

einen Schichtlohn (8 Std.) von mindestens 654 fr. (vgl. Bergmannskalender 1949, S. 160). Dazu erhielten<br />

die Bergleute eine Reihe von Vergünstigungen, die damals manchen voller Neid auf die „gut-<br />

gestellten“ Bergleute blicken ließen. Die Zuteilung von Hausbrand (Deputatkohle) gehört traditionell<br />

zum Bergmannslohn. Wer im Monat alle Schichten verfahren hatte, erhielt zusätzlich einen Gutschein<br />

für drei Zentner Kohle. Dieser so genannte Kohlenschein war übertragbar, konnte also verkauft oder<br />

getauscht werden. Nach jeder Schicht erhielt der Bergmann in der Grubenkantine eine kräftige Suppe.<br />

Viele nahmen diese Suppe in einem Kochgeschirr für Familienmitglieder mit nach Hause. Auch anderes<br />

wurde - mehr oder weniger offen geduldet - mit nach Hause genommen: die bekannten „Mutterklötzchen“<br />

(Abfallstücke von Holzstempeln), auch Kohlestücke in Tragetaschengröße sowie Gummistücke<br />

von alten Förderbändern, die zum Schuhesohlen verwandt wurden. Der <strong><strong>Lebach</strong>er</strong> Schuster<br />

stellte aus solchem Grubengummi und starkem Leinenstoff Sommerschuhe für Mädchen her. Die<br />

Bergleute erhielten zusätzliche Brot-, Kartoffel- und Butterkarten. Sie konnten auf der Grube Tabakwaren,<br />

Wein und Cognac erwerben. Im Herbst konnte der Bergmann das so genannte Kartoffelgeld in<br />

Anspruch nehmen, ein zinsloser Vorschuss zum Erwerb von Winterkartoffeln. Die Höhe des Kartoffelgeldes<br />

wurde nach der Größe der Familie berechnet, die Rückzahlung wurde in kleinen Beträgen vom<br />

Lohn einbehalten. Die Bergmannsbauern konnten kostengünstig Kunstdünger und Saatgut von der<br />

Grube beziehen.<br />

Die Régie des Mines ließ von Anfang an Gewerkschaften in den Gruben zu. Betriebsräte konnten sich<br />

für erträgliche Arbeitbedingungen einsetzen.<br />

Die relative Besserstellung der Bergleute entsprach den wirtschaftlichen Interessen Frankreichs an<br />

der Saarkohle: So konnte die für Frankreich bestimmte Kohleförderung erhöht werden. Um die saarländische<br />

Bevölkerung mit Kohle zu versorgen, mussten die Bergleute in jedem Quartal an einem<br />

Sonntag eine unbezahlte Sonderschicht ableisten.<br />

Josef Heinrich

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