Leseprobe, PDF-Download, ca. 3 MB - Kloster Eberbach
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Der Rheingau<br />
edition
62<br />
Den mittelalterlichen Betrieb in<br />
<strong>Kloster</strong> <strong>Eberbach</strong> könnte man<br />
als den damals größten Konzern<br />
des Rheingaus bezeichnen.<br />
Heute gehört die Anlage zu<br />
Eltville-Hattenheim und ist von<br />
dort oder von Kiedrich aus<br />
nur über eine einzige Straße<br />
erreichbar.<br />
<strong>Kloster</strong> <strong>Eberbach</strong><br />
Kein Wein ohne Klöster – Weinkultur seit 1136<br />
<strong>Eberbach</strong> ist das größte und spätestens seit dem Kinoerfolg<br />
»Der Name der Rose« 1986 das bekannteste <strong>Kloster</strong><br />
des Rheingaus. Wenn grundsätzlich der Einfluss der einst<br />
zwölf Rheingau-Klöster auf Wirtschaft und Kultur nicht<br />
genug betont werden kann, gilt dies besonders für <strong>Eberbach</strong><br />
und seine zahlreichen Besitzungen am Rhein, an<br />
der Lahn und Nahe. Der Erfolg des Rheingau-Rieslings als<br />
traditionsreiches, regional bedingtes Kulturgut ruht wesentlich<br />
auf den Schultern der früheren Mönche. Wein<br />
und Mönchtum gehören zusammen.<br />
Das bald neun Jahrhunderte alte, im Jahr 1136 noch<br />
zu Lebzeiten des Ordensgründers Bernhard von Clairvaux<br />
gegründete Zisterzienserkloster <strong>Eberbach</strong> ist ein<br />
Sinnbild für die im Mittelalter überaus erfolgreiche, klug<br />
durchorganisierte und effektive Wirtschaftspolitik der<br />
Mönche hier im Tal des Kisselbaches. Bis heute ist die vor<br />
mehr als 200 Jahren als <strong>Kloster</strong> zwangsweise aufgelöste<br />
Gebäudegruppe von Wäldern, Wiesen, Feldern und<br />
Weinbergen umgeben. Von <strong>Eberbach</strong> führte immer eine<br />
Straßenverbindung hinunter zum Hafen. Am Rhein<br />
wurden die Weinfässer mit Hilfe des von Menschenkraft<br />
angetriebenen Oestricher Krans auf die klostereigenen<br />
Schiffe verladen und zum Verkauf in städtische Handelszentren<br />
transportiert, etwa nach Frankfurt am Main,<br />
Auf halber Höhe zwischen Weinbergen und Wald<br />
Mehr als 300.000 Besucher<br />
kommen jedes Jahr in das ehemalige<br />
<strong>Kloster</strong> <strong>Eberbach</strong>, das<br />
stilistisch Spuren von der<br />
Romanik der Zisterzienserarchitektur<br />
bis zum Barock<br />
bewahrt hat, hier das reich geschmückte<br />
Portal zum Laiendormitorium.<br />
Der <strong>Kloster</strong>bezirk endete nicht<br />
an der (inneren) <strong>Kloster</strong>mauer,<br />
sondern an der äußeren<br />
Mauer, die dicht am Waldrand<br />
auf halber Höhe verläuft.<br />
Die romanische Kirche ist das<br />
Zentrum des <strong>Kloster</strong>s. Sie<br />
entstand in zwei Bauphasen:<br />
um 1145 bis um 1160, und um<br />
1170 bis 1186. Das architektonische<br />
Vorbild war das Mutterkloster<br />
Clairvaux in Burgund.<br />
Hier wie dort verzichteten die<br />
Mönche, den zisterziensischen<br />
Bauregeln folgend, auf Bauschmuck<br />
wie eine Turmfassade,<br />
fanden aber Mittel und Wege,<br />
die Kirche durch harmonische<br />
Proportionen und aufwendig<br />
gearbeitete Details wirken zu<br />
lassen.<br />
Haupteingang Portalschmuck <strong>Kloster</strong>mauer<br />
Mainz, Boppard, Koblenz oder Köln, wo das <strong>Kloster</strong> Niederlassungen<br />
unterhielt. Schon im 13. Jahrhundert waren<br />
die etwa 150 bis 200 Mönche und mindestens 450 Konversen<br />
mit dem Weinhandel so effektiv, dass sie am Mittelrhein<br />
weitere Waldgebiete rodeten, um Weinberge anzulegen.<br />
Das <strong>Kloster</strong> besaß in mehr als 200 Orten Güter und<br />
Land. Mindestens zwölf Höfe der Umgebung bauten für<br />
<strong>Eberbach</strong> Obst und Gemüse an, und mehrere verpachtete<br />
Mühlen und Webereien arbeiteten im Auftrag des Abtes.<br />
Aus heutiger Sicht muss man sich von der Vorstellung<br />
eines rein religiösen Zentrums in einsamer Waldidylle lösen:<br />
Das mittelalterliche <strong>Eberbach</strong> war die Zentrale eines<br />
weit gespannten Netzwerkes. Die spirituelle und ökonomische<br />
Strahlkraft endete mitnichten an der <strong>Kloster</strong>mauer.<br />
Ein Großbetrieb wie <strong>Eberbach</strong> weckte Begehrlichkeiten,<br />
besonders in Notzeiten. Daher überrascht es nicht,<br />
dass die Mönche im Bauernkrieg 1525 und im Dreißigjährigen<br />
Krieg 1631 überfallen, getötet und ihre Produktionsanlagen<br />
und Lager geplündert und verwüstet wurden.<br />
Nach diesem Schock begann die nächste Generation<br />
junger Mönche von vorne. Die Regel »ora et labora« half<br />
ihnen dabei, bis zum 18. Jahrhundert abermals Wohlstand<br />
erreicht zu haben. Beten, arbeiten, Weinanbau und<br />
die Versorgung von Kranken, Alten und Pilgern aus ganz<br />
Europa gehörten für die Zisterzienser zusammen.
64<br />
<strong>Eberbach</strong> gehört zu den größten<br />
und besterhaltenen Zisterzienserklöstern<br />
in Deutschland.<br />
Der riesige Schlafsaal<br />
für 150 bis 200 Mönche, das<br />
Dormitorium, schließt unmittelbar<br />
an die Kirche an, damit<br />
die Mönche nachts zumindest<br />
trockenen Fußes in den Chor<br />
gelangen konnten.<br />
Wasser und Wald als Lebensgrundlagen<br />
Zu jedem mittelalterlichen <strong>Kloster</strong>, so auch zu <strong>Eberbach</strong>,<br />
gehörte Wald, Nutzwald. Bei kluger, vorausschauender<br />
Forstwirtschaft wuchs dort das Holz über Jahrhunderte<br />
hinweg nach. Der Holzbedarf war riesig, es wurde<br />
gebraucht für Feuer, Weinfässer, Schuppen, Brunnen,<br />
Tische und Bänke, Schüsseln und Becher, Löffel, Kellen<br />
und andere Haushaltsgegenstände. Am Hang des Waldes<br />
unterhielten die Mönche weitere Brunnen, von denen<br />
heute nichts mehr erkennbar ist, denn bei mehreren hundert<br />
<strong>Kloster</strong>bewohnern, die kochen, brauen, in großem<br />
Stile keltern, schlachten, Beete bewässern und Wäsche<br />
waschen, ist auch der Wasserbedarf erheblich. Die Stelle<br />
des oft erwähnten Mönchbrunnens ist jedoch nicht bekannt,<br />
er dürfte in der Nähe der modernen Brunnen im<br />
Wald gelegen haben.<br />
Am Beginn des Wanderweges liegt nördlich des <strong>Kloster</strong>s<br />
der ehemalige Hof Geisgarten, der im 13. Jahrhundert<br />
als Weberhaus für die Wollweberei des <strong>Kloster</strong>s gebaut<br />
wurde. Zwischenzeitlich für die Ziegenhaltung genutzt,<br />
entstanden die heute sichtbaren Gebäude um 1742. Auch<br />
dort, wo man Stoffe webt und verarbeitet, braucht man<br />
Wasser, und auch dies lieferte der Kisselbach.<br />
Wenige Gehminuten später wartet eine Überraschung<br />
auf ahnungslose Rheingaubesucher: Lamas und Kamele<br />
Auf halber Höhe zwischen Weinbergen und Wald<br />
Die 47 Meter lange, zweischiffige<br />
Halle des Laienrefektoriums<br />
wurde um 1200 gebaut.<br />
Seit 1955 stehen hier die großen<br />
Weinkeltern der Abtei. Die<br />
älteste Kelter wurde 1668 gebaut,<br />
die jüngste entstand 1801.<br />
Die ehemalige <strong>Kloster</strong>kirche<br />
bildet einen festlichen Rahmen<br />
für klassische Konzerte. Jeden<br />
Sommer finden hier und im<br />
Kreuzgang des <strong>Kloster</strong>s die<br />
Konzerte des Rheingau Musik<br />
Festival statt. Kulturveranstaltungen<br />
wie diese tragen wesentlich<br />
dazu bei, dass die<br />
große <strong>Kloster</strong>anlage erhalten<br />
werden kann.<br />
<strong>Kloster</strong>kirche<br />
Die rund 80 Meter lange romanische<br />
Kirche aus dem 12. Jahrhundert<br />
verbindet die Einflüsse<br />
der burgundischen Zisterzienser-Baukunst<br />
mit den Formen<br />
der rheinischen Romanik.<br />
Dormitorium Barocke Weinkeltern Klassik im Chor<br />
grasen friedlich auf einer Weide. Seit einigen Jahren werden<br />
die Untere und die Obere Kisselmühle, vormals ebenfalls<br />
<strong>Kloster</strong>besitz, privat von einem Lama- und Kamelzuchtbetrieb<br />
mit etwa hundert Tieren genutzt. Hier, im<br />
Rheingauer Wald, kann man Kaschmirpullover kaufen<br />
oder bei einem Lamatrekking die Landschaft erkunden.<br />
Der Weg durch das Kisselbachtal war jahrhundertelang<br />
eine wichtige Verbindung zwischen <strong>Eberbach</strong> und<br />
seinen Wirtschaftsbetrieben im Wald. Oberhalb des Weges<br />
verläuft ein metertiefer, in den Hang eingeschnittener<br />
Hohlweg, der älter als das <strong>Kloster</strong> ist. Regen und Wind<br />
haben den lange benutzten Weg ausgewaschen. Wege<br />
wie dieser führten vermutlich seit einigen tausend Jahren<br />
aus dem Kisselbachtal hinauf auf die Taunushöhen. Mit<br />
Sicherheit waren die Mönche nicht die ersten, die das<br />
fruchtbare Tal zu nutzen verstanden. Hohlwege haben<br />
sich gebildet, indem Menschen, Tiere und Wagen über<br />
einen langen Zeitraum immer die gleiche Streckegingen,<br />
um ihre Waren über die Taunushänge zu schleppen oder<br />
um den nächsten Rast- oder Pilgerort zu erreichen. Der<br />
Verlauf dieses Hohlweges weist in Richtung Gebücktor<br />
Mapper Schanze. Hinter dem Tor liegt der Hof Mappen,<br />
heute ein privates Gestüt, doch zu <strong>Kloster</strong>zeiten befand<br />
sich auch dieser Hof bis 1803 im Eigentum der <strong>Eberbach</strong>er<br />
Zisterzienser.