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Al Ard Magazin Ausgabe 1

deutsch-arabisches Kulturmagazin

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42 Kultur/Kritiken - Ein Bett und ein Schmetterling!<br />

Kultur/Kritiken - Ein Bett und ein Schmetterling!<br />

43<br />

ثقافة/نقد - سرير وفراشة<br />

ثقافة/نقد - سرير وفراشة<br />

Ein Bett und ein Schmetterling!<br />

Ihre Bilder zeigen die Wirklichkeit hautnah, ungeschönt und mit einer Intensität, die zum Nachdenken<br />

anregt und den Betrachter noch lange beschäftigt.<br />

Interview von Birgit Bicheler<br />

اخوين في غرفتهم القديمة.‏<br />

Wir alle kennen sie, die Bilder und Berichte<br />

vom Konflikt und der Zerstörung dieser Region.<br />

Gezeichnet von über 60 Jahren israelisch<br />

militärischer Besatzung. Doch wissen wir<br />

wenig über die Menschen, die in den eingeschlossenen<br />

Gebieten in Gaza und der West<br />

Bank tagtäglich leben und überleben.<br />

Anne Paq bringt diese Menschen zu uns, ihre<br />

Geschichten, ihr Leben zwischen Checkpoints<br />

und den Kampf um die Hoffnung auf<br />

ein freies Palästina.<br />

Ich traf Anne Paq auf ihrer aktuellen Ausstellung:<br />

„This used to be my Bedroom“ in Berlin.<br />

Wie lange hast du an diesem Projekt gearbeitet?<br />

Ich begann das Projekt kurz nach Eintreten<br />

der Waffenruhe im September 2014, und<br />

kam dann nochmal für ein paar weitere Bilder<br />

im November zurück. Das Schockierende<br />

daran ist, dass ich heut nach Gaza zurückgehen<br />

könnte und sich an genau der gleichen<br />

Stelle mein Projekt jederzeit fortsetzen ließe.<br />

Fotos von Anne Paq<br />

Zwei Brüder in Ihrem ehemaligen<br />

Kinderzimmer.<br />

طفلة مع لعبتها القماشية.‏<br />

Denn keines der Häuser, die damals zerstört<br />

wurden, ist aktuell wieder aufgebaut.<br />

In welchen Städten wurde sie ausgestellt?<br />

Nicht in sehr vielen. In Marseille und Berlin.<br />

Wie kam dir die Idee zu diesem Projekt?<br />

Ich war schockiert, als ich zurück nach Gaza<br />

kam und das Ausmaß der Zerstörung sah<br />

und wollte in diesem Projekt nicht nur die<br />

reine Zerstörung des Lebensraumes aufzeigen,<br />

sondern auch, was es für ein Kind bedeutet,<br />

kein Bett, keine Puppe, ja kein Schlafzimmer<br />

mehr zu haben.<br />

Mich bewegte und verstörte es sehr, als ich<br />

die zerstörten Kinderzimmer sah.<br />

Es wirkt im ersten Moment so surreal!<br />

Du siehst rosafarben gestrichene Wände mit<br />

Teilen von heruntergerissenen Kinderpostern<br />

an der Wand und denkst dir nur, was es wohl<br />

für das Kind bedeutet, das jetzt mit dir in seinem<br />

ehemaligen Zimmer steht.<br />

In Beit Hanoum führte mich ein kleines Mädchen<br />

durch ihr altes Zuhause.<br />

Ein Mädchen mit Ihrem Stofftier<br />

Wir stoppten in einem Raum, an dem ein<br />

Schmetterling an die Wand gezeichnet war.<br />

Das Mädchen erzählte mir, dass sie den<br />

Schmetterling gemalt habe.<br />

Dies war für mich die Begegnung, wo sich die<br />

Idee zu diesem Projekt entwickelte.<br />

Ich wollte, dass die Menschen darüber nachdenken,<br />

welche psychologischen Auswirkungen<br />

es auf ein Kind haben muss, sein Zuhause<br />

zu verlieren.<br />

Und am Ende bleibt nichts, außer Erinnerungen<br />

und ein gezeichneter Schmetterling an<br />

der Wand.<br />

Wie viele Familien hast du für dieses Projekt<br />

besucht?<br />

30 Familien.<br />

Kanntest du die Kinder schon vorher<br />

oder wie kamst du mit ihnen in Kontakt?<br />

Einige wenige kannte ich auch schon vorher,<br />

zum Beispiel Mayssa, deren Familie ich seit<br />

2010 kenne.<br />

Sie wohnte nahe der Grenze und hat ihre<br />

Mutter beim Beschuss durch israelische Soldaten<br />

in der Nähe ihres alten Hauses verloren.<br />

Danach hatte sie mit dem Rest ihrer Familie<br />

3 Jahre auf einem nahe gelegenen Feld in einem<br />

Zelt gelebt.<br />

Sie sparten auf ein neues Haus, unterstützt<br />

durch Spenden von Freunden, Aktivisten<br />

und humanitären Hilfsorganisationen.<br />

Im Januar 2014 konnten sie endlich in ihr<br />

neues Haus ziehen, da nur wenige Monate<br />

danach im Juli abermals zerstört wurde.<br />

Dort entstand auch das Foto auf den Trümmern<br />

ihres Schlafzimmers.<br />

Generell war es sehr einfach, mit den Menschen<br />

und deren Kindern in Kontakt zu<br />

kommen. Ich besuchte damals die zerstörten<br />

Gebiete und lernte immer wieder jemanden<br />

kennen, der jemanden kannte, der<br />

wieder jemanden kannte und so weiter.<br />

Es gab so viele zerbombte Häuser von betroffenen<br />

Familien mit Kindern, die sofort<br />

bereit waren, mir ihr zerstörtes Schlafzimmer<br />

zu zeigen, als ich sie danach fragte.<br />

Das war kein Problem.<br />

Gab es einen Gegenstand, den die Kinder<br />

am meisten vermissten?<br />

Es waren meist sehr gewöhnliche Dinge.<br />

Was du eben als kleines Kind so vermisst.<br />

Einige Mädchen sprachen über ihre Lieblingspuppen,<br />

viele vermissten aber auch ihre<br />

Klamotten. Da das Einkommen in Gaza sehr<br />

gering ist, ist es für viele Kinder und Teenager<br />

etwas Besonderes, schöne Kleidung zu besitzen.Wenn<br />

sie diese dann durch die Bombardements<br />

verlieren, ist dies für viele sehr<br />

tragisch, denn in den zerstörten Gebieten ist<br />

es nicht einfach, überhaupt an Kleidung zu<br />

kommen und schon gar nicht an Kleidung,<br />

die du dir als Teenager in Gaza wünschst.<br />

Manche vermissen aber auch einfach ihr<br />

Bett oder ihre Matratze auf dem Boden,<br />

denn die Lebensbedingungen sind hart und<br />

meist auf das Nötigste beschränkt, sodass<br />

für viele Kinder ihr Bett ein Ort war, wo sie<br />

sich wohlfühlten.<br />

Einige der Kinder haben mich sehr gerührt,<br />

einer vermisste zum Beispiel seinen roten<br />

Drachen.<br />

Andere wiederum erzählten mir, am meisten<br />

vermissen sieihren besten Freund, mit dem<br />

sie in ihrem Schlafzimmer spielten und der<br />

bei einem Bombenanschlag oder Beschuss<br />

ums Leben kam.<br />

Es ist traurig, so etwas von einem Kind zu<br />

hören.<br />

Ein Spielzeug kann man ersetzen, doch ein<br />

bester Freund …<br />

Bist du noch in Kontakt mit ihnen, nach<br />

dem Abschluss des Projektes?<br />

Mit einigen, ja.<br />

Mayssa habe ich im März 2015 wieder besucht<br />

und ihr das <strong>Magazin</strong> gebracht, in dem<br />

ihr Foto veröffentlicht wurde.<br />

Doch ich war schockiert, als ich dort ankam.<br />

Das Stück Land, auf dem sie leben, glich<br />

einer Mondlandschaft, zerstört von israelischen<br />

Bulldozern.<br />

Nach der Zerstörung ihres neuen Hauses<br />

waren sie 6 Monate in einer Schule untergekommen,<br />

bevor sie wieder zurück auf ihr<br />

Land gezogen sind.<br />

Dort leben sie jetzt in einem dritten neuen<br />

Haus.<br />

Doch die Lebensbedingungen sind sehr<br />

schlecht, es gibt kaum Strom, keinen Wasseranschluss,<br />

und die Hitze macht vielen zu<br />

schaffen.<br />

Drei der Geschwister sind krank durch die<br />

schlechten Bedingungen und traumatisiert<br />

durch den Krieg.<br />

Was möchtest du den Besuchern deiner<br />

Ausstellung aufzeigen und mit auf den<br />

Weg geben?<br />

Zum Einen ist es mir wichtig zu zeigen, wer<br />

die Betroffenen der Anschläge und des Krieges<br />

sind.<br />

Nämlich die Zivilbevölkerung und die Kinder.<br />

Laut *UNICEF sind 425.000 Kinder durch<br />

den Krieg schwer traumatisiert. Im Sommer<br />

2014, während der Israelischen Offensive,<br />

wurden 539 Kinder getötet und 2.956 verletzt,<br />

viele für ihr Leben lang gezeichnet.<br />

Gaza ist eine junge Stadt, viele junge Menschen<br />

leben dort.<br />

Nach Schulende siehst du ein Meer von Kindern,<br />

die durch die Straßen strömen.<br />

Das bringt mich auch gleich auf den zweiten<br />

Punkt, der mir sehr wichtig ist, nämlich die<br />

Zukunft der Kinder:<br />

Was für eine Zukunft bietet sich diesen Kindern,<br />

deren Häuser zerstört wurden, die Angehörige<br />

verloren haben und in einer Umgebung<br />

von Angst aufwachsen?<br />

Darauf möchte ich die Menschen aufmerksam<br />

machen, damit sie aktiv werden und<br />

damit so etwas nie wieder passiert!<br />

Nabil Syam 33j., Erverlor seine Frau und vier<br />

seiner fünf Kinder während der Flucht in den<br />

Straßen Rafahs.<br />

Gaza Streifen 21.Juli 2014.<br />

نبيل صيام ( 33 عاما ) خسر<br />

زوجته واربعة من أطفاله الخمسة<br />

خالل النزوح في شوارع رفح.‏<br />

<strong>Al</strong> <strong>Ard</strong> - 01/2016 01/2016 - <strong>Al</strong> <strong>Ard</strong>

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